Axel Lawaczeck liest aus Fuchsrot und feldgrau, das im September 2021 im Volk Verlag erscheint. Fuchsrot und feldgrau wurde mit der Verlagsprämie des Freistaats Bayern 2020 als eines von zehn besonders publikationswürdigen Verlagsvorhaben Bayerns ausgezeichnet. Der Verlag beabsichtigt die Einreichung von Fuchsrot und Feldgrau zum Deutschen Buchpreis 2022. Die Lesung in Cottbus ist die erste offizielle Lesung überhaupt.

Textprobe

Der Fuchs war hart und kalt. Walodja fand ihn, als er aus dem Versteck im Wald kam. Vermutlich lag das Tier schon seit zwei oder drei Tagen hier im Unterholz zwischen den Kiefern und Birken im halbhohen Gras. Walodja beugte sich hinunter und betrachtete den Kadaver. Langsam fuhr er mit dem Fingerrücken über den Winterpelz und fühlte den sehnigen Körper darunter.
Die Rute des Tieres war buschig, zwei schwarze Ringe durchzogen ihre Mitte. Walodja roch den scharfen Duft, den der Fuchs in seinem Todeskampf verströmt hatte. Eine Mischung aus Urin, Kot und Veilchen. Die Zunge des Fuchses war bereits abgefressen, ebenso die Nase. Auch die Augen fehlten, Maden wanden sich in den leeren Höhlen. Die Zähne des Fuchses zwischen den stumpfgrauen Lefzen waren abgenutzt, einige fehlten, das Zahnfleisch war brandig.
Der Fuchs war ein betagter Einzelgänger im Sonntagsanzug gewesen. Ein besonders schönes Tier, ein erfahrener Räuber. Walodja verspürte Mitleid mit der Kreatur.
Dort, wo der Draht den Hinterlauf des Fuchses bis auf den Knochen durchgescheuert hatte, erkannte er Nagespuren. Vielleicht stammten sie vom Fuchs selbst, der sich zu befreien erhofft hatte, indem er seine abgestorbene Pfote abbiss.
Walodja bedauerte den Tod des Tieres. Doch er war auch stolz auf seinen Vater, der die Falle umsichtig gestellt hatte. Es ist nicht leicht, einen erfahrenen Fuchs zu fangen. Und es war wichtig, dass der Fuchs ihnen nicht noch mehr Hühner nahm, der Winter war hart gewesen, wie immer.
Viel Regen und damit Schlamm hatten die kalten Monate gebracht, hier, in der Region Krasnodar unweit der Taman-Halbinsel zwischen Asowschem und Schwarzem Meer, wo die Nordhänge des Kaukasus schon längst in dicht bewaldete Hügel übergegangen waren, die sich zu den Dörfern hin in den Feldern der fruchtbaren Ebene verloren.
Es war warm. Der Frühling schenkte der Natur seit Wochen heitere Tage. Die Sonne war kräftig und ließ die Knospen aus den schwarzen Äckern schießen. Überall blühte es in der Pracht, die diese Region schon seit Jahrtausenden verwöhnte.
Walodjas Vater Kolja hatte die Drahtschlinge drei Tage lang hinter dem Schuppen im Morast liegen lassen und seinen Kindern eingeschärft, sie nicht zu berühren. Nichts sollte nach einem Menschen riechen.
Der alte Fuchs war vorsichtig gewesen. Vor zwei Wochen hatte er ein Huhn geholt. Fünf weitere hatte er totgebissen, wohl, um sie später nachzuholen. Die restlichen Hühner waren verschont geblieben, weil ihr Gackern Walodja geweckt hatte. Mit Gebrüll hatte er den Fuchs in das Dunkel der Nacht vertrieben.
Am Morgen hatten sie das Loch auf der Rückseite des Hühnerzauns gefunden. Der Fuchs hatte sich dort hindurch gegraben, wo die Erde weich gewesen war. Walodjas Vater war der Spur der Hühnerfedern vom Stall bis zum Waldrand gefolgt und hatte sich entschieden, die Falle hier, auf der Anhöhe unter den Zweigen, zu platzieren. Als Köder diente ihm eines der totgebissenen Hühner.
Das Huhn hatte seinen Zweck erfüllt. Es befand sich im Vergleich zu seinem toten Feind bereits drei Tage weiter in seinem Verwesungsstadium. Als plötzlicher Wind den käsigen Gestank des Tieres aufwirbelte, erhob sich Walodja.
Aus dem Pelz würde sein Vater eine Mütze für Allotschka anfertigen. Er würde wunderbar zum roten Haar seiner Schwester passen. Eine Mütze mit einem langen Fuchsschwanz, den sie wie einen Schal tragen könnte. Sie fror oft, weil sie so dünn war.
Walodja trennte den Hinterlauf des Fuchses mit seinem Messer ab und warf ihn fort. Er nahm den Fuchs an seiner Rute und schaute den Hang hinab zum Hof. Eine Kate mit Strohdach, ein Stall, ein Schuppen. Seine Mutter winkte und er reckte triumphierend den Fuchs in die Höhe. Der Hund der Familie, ein Mischling, der auf den Namen Towarisch hörte, schlug aufgeregt an und riss an der Kette, mit der er und seine Hundehütte verbunden waren.
Der Wind hatte weiter aufgefrischt. Wolken, die Regen in sich trugen, kamen rasch näher. Walodja hörte das Donnern und Grummeln im Himmel. Gehörte es zu einem Gewitter oder waren es die Geräusche der Front, die nur noch wenige Meilen entfernt war? Irgendwo zwischen Starotitarovskaja und Temryuk sollten sich die Armeen gegenüberstehen, raunte man sich im Dorf zu. Die Deutschen würden bald fliehen müssen und seien nervös. Die Rede war von Trupps, die alles töteten. Von Dorfstraßen, durch die das Blut von einer Häuserwand bis zur nächsten floss. Die Leute wussten von Dingen zu berichten, die so schlimm waren, dass man sie nur im Flüsterton ertrug.

Axel Lawaczeck, Dipl.-Designer, geboren 1969 in Göttingen, dort Abitur, studierte Kommunikations-Design an den Kunsthochschulen Kiel und Braunschweig und arbeitete anschließend als freiberuflicher Texter. Seit 15 Jahren schreibt er Geschichten. Er lebt seit vielen Jahren in Friedenfelde bei Gerswalde und ist Mitglied der Uckermärkischen Literaturgesellschaft e. V. Im September 2021 erscheint im Volk Verlag München sein erster Roman „Fuchsrot und feldgrau“. Kurzgeschichten, Manuskripte und weitere Informationen unter

www.axelvonfriedenfelde.com

Bibliographie

– Veröffentlichung in der Anthologie zum Berliner Literaturpreis „Aurum“ 2021 mit „Blickkontakt“

– Auf der Shortlist zum Berliner Literaturpreis Wortrandale 2021 mit der queeren Kurzgeschichte „Hottentottenbums“

– Publikumspreis beim Berliner Literaturpreis Wortrandale 2019 mit „Eine Hitze zu Johannis“
weitere Veröffentlichung beim Berliner Literaturpreis Wortrandale 2019 mit „Angelegenheiten bedacht gewählter Worte“

– Preisträger beim Putlitzer Preis 2019, dem Literaturpreis der 42er Autoren, mit „Also gut, reden wir über die dicke Hedwig“

– Veröffentlichung in der Anthologie „Aus dem Takt“ des Literaturpreises Moorweide-Hamburg

– Lesung der Erzählung „I tasted Freedom and I liked it“ durch Götz Otto anlässlich des 125-jährigen Jubiläums der Münchner Philharmoniker

– „Das Pokémon aus dem Tettauer Unterholz“ in der Anthologie des Schaeff-Scheefen-Preises des Autorenverbandes Franken 2019

– „Das erste Kind des polnischen Maschinisten“ in der Anthologie „Neue Prosa“ zum Literaturpreis Schleswig-Holstein 2018

– Preisträger beim Putlitzer Preis 2018, dem Literaturpreis der 42er Autoren, mit „Halali“

– Veröffentlichung in der Anthologie zum Literaturpreis Harz 2018 mit „#Drohnengott“