Carmen Winter wurde 1963 in Wriezen, der heimlichen Hauptstadt des Oderbruches, geboren. Über den Studienort Berlin führte sie ihr Weg zurück an die Oder in die Grenzstadt Frankfurt. Hier lebt und schreibt die Germanistin seit 1988. Im Kunstverein, im Kleist-Museum und als Mitarbeiterin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei einem sozialen Verband sammelte sie Berufserfahrungen, ehe sie sich 1999 selbständig machte. Lag der Schwerpunkt ihrer Arbeit zunächst im Journalismus und in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, sind inzwischen Buchpublikationen in den Vordergrund gerückt. Ihre Texte sind auf CD und in Blogs erschienen. Als Dozentin für kreatives Schreiben gibt sie ihre Erfahrungen weiter. Sie führt Schreibwerkstätten mit Schülern und Erwachsenen durch und war im Lehrauftrag an der Universität Viadrina tätig. Von 2015 bis 2020 leitete sie an der Volkshochschule Frankfurt (Oder) das Grundbildungszentrum. Seit Mai 2021 ist sie wieder ausschließlich freiberuflich tätig.
www.carmenwinter.de

Bibliographie

»Das Oderbruch, Liebe auf den zweiten Blick«
Findling Verlag, 2004, 7. Auflage 2019

»Mitlesebuch« (Lyrik)
Aphaia Verlag Berlin, 2006

»Der König und die Gärtnerin«
Märchen für Erwachsene über ein ungleiches Paar Drachenmond Verlag, 2010

»Spreewald mit Cottbus«
Reiseführer, via reise verlag, 2015

»So erzählte sie«
Mikrogeschichten, Verlag für Kurzes, 2015

»Der Barnim. Märchenplatz der Mark Brandenburg«
Findling Verlag, 2020

Diverse Beiträge in Anthologien und Zeitschriften

Carmen Winter liest nur am 04. September aus Der König und die Gärtnerin, erschienen im Drachenmond Verlag.

Textprobe

Der König entdeckt seine Gärtnerin

Als der König am Morgen aufwachte, war noch alles normal. Aber schon beim Frühstück spürte er, daß eine kleine Traurigkeit in ihm aufkeimte. Der Morgenkaffee war ausgezeichnet, sein Pfeifchen schmeckte ihm, aber die Traurigkeit wollte nicht verschwinden. Im Gegenteil, langsam machte sie sich breit in ihm, wuchs und wuchs. Gut, daß ich ordentlich gegessen habe, dacht der König, da wo Rühreier mit Speck und drei Scheiben Brot liegen, hat die Traurigkeit keinen Platz.
Dennoch, es gefiel ihm nicht, dieses traurige Gefühl im Bauch, also ging er in den Garten. Der Garten hatte ihm in solchen Fällen immer geholfen. Die Freitreppe hinab, dann den ersten Querweg nach rechts eingebogen und schon stand er in einem Meer von Blüten, Blüten in allen Rottönen, die das Auge widerzuspiegeln vermochte. Vögel sangen ihr Lied, Der König beugte sich über eine Rose und sog ihren Duft ein. Schon merkte er, wie die Traurigkeit sich langsam zurückzog. Zuerst verschwand sie hinter seinen Augen, dann hinter der Nase und hinter den Ohren. Sie kroch den Hals hinab und wurde kleiner und kleiner.
Plötzlich bewegte sich etwas Großes im Garten. Der König war ein wenig erschrocken, dann erkannte er den Rücken eines Menschen. „Heda“, rief er, „was machst du in meinem Garten?“ Der Mensch drehte sich um und antwortete mit heller Stimme: „Ich bin Deine Gärtnerin – Herr König“
Der König kam näher, noch näher, so nahe, daß er in den Augen der Gärtnerin das Spiegelbild seines rotblühenden Gartens sehen konnte. „Du bist schön“, sagte er. Und in seinem Bauch machte sich schon wieder so ein Gefühl breit. War das schon wieder diese Traurigkeit? Die Gärtnerin antwortete zuerst gar nichts. Dann sagte sie schnell: „Soll ich dir deinen Garten zeigen – Herr König?“ „Nein“, sagte der König, „ich will, daß du zu mir ins Schloß kommst und bei mir lebst. Um den Garten kann sich auch jemand anders kümmern. Aber, du darfst nichts aus deiner Vergangenheit mitbringen. Nichts, gar nichts. Verabschiede dich von allem und komme so zu mir, wie du einst zu deiner Mutter kamst.“ Sprach‘s, drehte sich um und ging zurück ins Schloß.
‚Wie ich zu meiner Mutter kam‘, dachte die Gärtnerin. ‚Nackt und bloß, mit nichts also.‘ Na ja, ein König kann sich so was leisten, der braucht keine Braut mit großer Mitgift. Die Gärtnerin ging also nach Hause, um sich von ihren Eltern zu verabschieden. Was der König nicht wußte, sie hatte auch ein Kind, auch von dem mußte sie sich verabschieden. Aber vielleicht würde er ihrer ja schon bald überdrüssig sein und sie wieder frei lassen. Man erzählte sich im einfachen Volk so manches von den reichen Leuten und eben auch die Geschichten vom immer neuen Spielzeug, daß sie brauchten. Es war also besser, sich nicht zu widersetzen, nicht zu riskieren, daß man ins Verlies gesperrt wurde und Schaden an der Gesundheit nahm, sondern zu gehorchen und zu hoffen. Die Eltern gaben ihr noch manchen guten Rat mit auf den Weg, versprachen auch, sich liebevoll um das Kind zu kümmern, dann ging sie.
Sie trug nur einen weiten alten Mantel, den würde sie vor dem Schloß zurücklassen. Das Barfußgehen war sie gewohnt, die Gräser kitzelten sie zwischen ihren Zehen. Ihr Weg führte sie durch den Garten mit den roten Blüten. Da sah sie, daß der Hibiskus aufgeblüht war. Sie pflückte eine Blüte und steckte sie sich ins Haar.
Vor dem Schloß angekommen ließ sie den Mantel fallen und trat ein. Alle Kerzen leuchteten. Rosenblätter waren gestreut. Der König stand mit klopfendem Herzen direkt hinter der Tür und wartete auf sie. Er schaute sie an, wieder blieb sein Blick am Spiegel ihrer Augen hängen. Und die Gärtnerin tat einen tiefen Blick in seine Seele. Da sah sie seine Sehnsucht und eine kleine Hoffnung, winzig klein noch, aber vielleicht, vielleicht wuchs sie gerade in diesem Augenblick ein Stück.
„Du bist wunderschön“, sagte der König wieder und die Gärtnerin lächelte und hörte auf, ihm so in die Seele zu blicken, denn er hatte ihr weder die Erlaubnis erteilt, noch hatte er sie darum gebeten. Er betrachtete sie von oben bis unten und lächelte still, als hätte er gerade das schönste Geschenk seines Lebens bekommen. Doch da verdunkelte sich sein Blick. Eine steile Falte stellte sich auf seiner Stirn ein, Zornesfunken sprühten aus seinen Augen. „Du hast dich nicht an die Abmachung gehalten“, zischte er zwischen den Zähnen hervor. „Du hast etwas aus deinem Garten mitgebracht. Du solltest nichts mitbringen. Nichts, nichts und dreimal nichts. So kann es nicht gelingen. Wenn du an den alten Dingen klebst, können wir kein neues Leben miteinander beginnen. Geh, ich will dich nie wieder sehen. Und daß du mir ja nicht wieder zwischen den Rosen begegnest. Such dir eine andere Arbeit!“
Die Gärtnerin antwortete nichts. Ihre Schultern sanken herab und sie ging. Sie las den Mantel vor der Türe auf, zog ihn über und schlug den Weg nach Hause ein. Die Eltern und ihr Kind waren froh, sie so schnell wieder zu sehen.

Dem König aber ging es von Stund‘ an schlecht. Er konnte sich einreden soviel er wollte, daß es sowieso nicht die richtige Frau gewesen war, es half nichts. Tief in seiner Seele saß die kleine Hoffnung, die dem Blick der Gärtnerin begegnet war und konnte nicht leben und nicht sterben. Der König ging zu den Rosen, er ging in den gelb blühenden Garten und in den blau blühenden Garten aber er konnte suchen so lange er wollte – er fand nur Rittersporn und Stiefmütterchen, Kuckucksnelke und tränendes Herz, nirgends war seine Gärtnerin.