Kena Hüsers liest aus Tödliches Insulin – Ein Brandenburg-Krimi, schienen im BoD Buchshop.
Textprobe
„Wieso, Anna? Es funktioniert doch. Die Amerikaner essen den Grünkohl jetzt in allen Variationen, sogar als Chips. Den Trend haben wir vor vier Jahren in Amerika gesetzt, der deutsche Grünkohl ist der Renner unter den Superfood-Produkten, und jetzt schwappt die Welle nach Europa zurück.“
Anna stand auf. Sie musste unbedingt etwas saubermachen. Das Thema nervte sie. Ronald nervte sie. Anna ging ins Badezimmer, füllte den Putzeimer mit Wasser, nahm die Essigessenz und fügte dem Wasser einen Schuss hinzu. Sie begann mit der Dusche.
„Ich hab dir gesagt, du sollst die Armatur mit dem Handtuch abtrocknen, dann verkalkt sie nicht so schnell!“, rief sie.
Ronald erschien in der Badezimmertür. „Nun lass mal die blöde Armatur. Ich versteh dich nicht. Du selbst hast vor zehn Jahren wesentlich zur Ent-wicklung der ‚Esst rot‘-Kampagne beigetragen. Das war doch auch nichts anderes.“
„Und das war eine dumme Idee. Erst redet man den Konsumenten ein, dass rote Früchte und Gemüsesorten das Nonplusultra sind, und sobald alle darauf abfahren, füllt man rot gefärbte, überzuckerte Powerdrinks mit künstlichen Aromen in Plastik¬flaschen mit Trinkstrohhalmen und verkauft den Dreck teuer.“
„Anna, das hast du alles schon im Studium gewusst. Wenn du dich als Marketing-Managerin in der Lebensmittelbranche etablieren willst, musst du deine Kreativität für Trends nutzen, die keiner braucht. Das Spiel hast du selbst lange mitgespielt. Und jetzt willst du mich verurteilen?“
Ronald nahm sich einen Putzlappen, tauchte ihn ins Essigwasser und bearbeitete das Waschbecken. Anna hielt ihm eine Sprühflasche mit ihrem selbst gemixten Reinigungsmittel hin. „Hier, nimm Soda¬wasser. Und trag Handschuhe beim Putzen, sonst bekommst du wieder Rötungen.“
„Was?“
„Du bekommst den Seifenstein so nicht weg.“
Anna hatte eine Mission. Sie putzte auf die gute alte Art. Umweltfreundlich, materialschonend und allergiker¬geeignet, denn sie war davon überzeugt, dass die meisten Allergien aus zu viel Chemie im Haushalt resultierten und man durch das Weglassen von Industrieprodukten nicht nur der Umwelt half, sondern auch der eigenen Gesundheit. Anna wollte ihren ökologischen Fußbadruck so klein wie möglich halten, und dafür tat sie eine Menge.
Deshalb lag es ihr am Herzen, Ronald davon zu überzeugen, dass er beruflich auf dem Holzweg war.
Anna brach das Schweigen, das bereits einige Minuten anhielt. „Ich hab es vom Ökobauern Jan Köhler gehört, Ronald. Das ist doch wirklich der Gipfel! Er sagt, du hättest ihn in Grund und Boden gequatscht, Palmkohl anzubauen. Du hättest ihm Zahlenkolonnen vorgelegt, bei denen Jan schwindelig wurde. Auf der einen Seite isst du sein Gemüse aus nachhaltigem Anbau, denn genau damit koche ich das Essen für dich vor, das sich in deiner Kühltruhe befindet, auf der anderen Seite willst du, dass er sämtliche Felder mit deiner blöden Monokultur zerstört?“
Ronald schien über seine Antwort nachzudenken, während er konzentriert das Waschbecken putzte. „Ich plane nicht die Zerstörung seiner Felder durch Monokultur. Er kann die Dreifelderwirtschaft betreiben. Die Idee ist großartig. Es ist alles drin: Die Pflanze ist ursprünglich, die Großmutter unseres heutigen Grünkohls sozusagen. Sie wurde in Brandenburg schon immer traditionell angebaut und ist wesentlich milder als Grünkohl. Dennoch hat sie alle Mineralstoffe und Spurenelemente, die der Mensch braucht. Wenn wir das als Konzept richtig ausbauen, können alle Landwirte in der Uckermark davon profitieren. Und nicht nur die, ich sehe eine Marketingstrategie, wie wir auch den Tourismus ankurbeln können.“
Anna unterbrach Ronalds Redefluss. „Du musst mir den ganzen Quatsch nicht erklären. Ich hab das schon begriffen, als mir Jan erzählt hatte, womit du ihn ködern wolltest. Ich bin schlie߬lich nicht blöd.“
„Doch, Anna, bist du! Ich will dir gerade ein gutes Geschäft vorschlagen, das dich auf andere Gedanken bringt. Du denkst nur noch ans Putzen und Kochen und dass du ja keine Umweltsünde begehst. Du schränkst dich nach allen Seiten ein. Du kannst aber etwas Gutes für die Region tun, die du so liebst, und mithelfen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirt¬schaft anzukurbeln. Ich habe mit meinen Chefs gesprochen, sie sind von der Idee begeistert. Wenn das funktioniert, muss ich nicht mehr nach New York, dann kann ich zwischen Berlin und Angermünde pendeln, und du würdest einen Arbeitsvertrag bekommen und richtig viel Geld verdienen … Wo willst du denn jetzt wieder hin?“
Anna war mit dem Putzeimer in der Hand verschwunden. Sie lief durch die Küche, öffnete die Terrassentür und trat hinaus in den Garten, wo sie das Essigwasser unter den Tomatenpflanzen verteilte.
„Was machst du da?“, fragte Ronald, der hinter ihr herlief.
„Ist zurzeit sehr trocken. Essigwasser macht Nutzpflanzen widerstandsfähiger.“
Ronald schaute sie fragend an.
„Wenn ich dir weiterhin meine Tricks verrate, brauchst du mich eines Tages nicht mehr. Das wäre sehr schade, Ronny, ich mag dich nämlich sehr gerne.“ Anna lächelte. Sie wollte die Situation retten.
„Sag nicht Ronny zu mir.“ Ronald verzog das Gesicht, als hätte er ein obszönes Wort in den Mund genommen. Dann fing er sich wieder: „Ich werde dich immer brauchen, Anna, und das weißt du. Ich hatte gehofft, wir könnten unsere Beziehung vertiefen. Ihr eine Wende geben und endlich eine richtige Partnerschaft daraus machen.“ Er zwinkerte ihr zu. Anna wusste, er wollte sie ins Boot holen, weil sie sich mit den Menschen in der Region gut verstand. Er brauchte jemanden, den er vorschicken konnte.
„Du meinst eine Geschäftspartnerschaft, von der nur du profitierst. Ich bin glücklich mit meinem Leben und dem Geld, das ich verdiene.“
„Anna, das kann nur eine Phase sein. Auch du musst längst kapiert haben, dass du diese Welt nicht retten kannst.“
Anna ging ins Haus zurück. Stellte den Putzeimer in den Schrank, legte die Putzlappen zum Trocknen über den Eimerrand und schloss die Schranktür.
„Für heute habe ich genug von dir. Drei Stunden macht neunzig Euro. Wann bist du wieder auf Geschäftsreise? Wenn du nicht hier bist, komme ich schneller voran.“
Ronald griff in seine Gesäßtasche, zog sein Portemonnaie heraus und gab Anna zwei Fünfziger.
„Ich fliege nächsten Montag nach New York und bleibe eine Woche weg. Kümmerst du dich um den Garten?“ Ronald wirkte verletzt.
Anna nickte.
„Und kann ich morgen noch zwei Flaschen Johannisbeersaft bei dir abholen?“
„Der Saft lief dieses Jahr recht gut. Ich muss schauen, ob ich bei der Reimann Johannisbeeren aus dem Garten abstauben kann, dann mach ich frischen.“ Anna steckte das Geld ein. „Ron? Alles okay bei dir? Bist du sauer auf mich, weil ich nicht deine Geschäftspartnerin werden will?“
Da Ronald nichts sagte, verabschiedete sich Anna und ging zur Tür.
„Sag mal, Anna, meintest du eben Rosemarie Reimann?“
„Ja, kennst du sie?“
„Nur flüchtig. Hat sie etwas über mich gesagt? Kennst du ihre Tochter?“ Ronald spielte mit dem Druckknopf an seinem Portemonnaie.
„Woher kennst du Annegret?“
„Ich bin ihr zufällig auf dem Markt begegnet, als sie mit ihrer Mutter einkaufen war. Da kamen wir ins Gespräch.“
„Und dabei hast du erfahren, dass Annegret und ihr Mann auf eine Biogasanlage gesetzt haben und die Förderungen dafür auslaufen und sie danach in echte Existenznöte geraten? Und dir ist ganz plötzlich eine Idee gekommen, mit der du sie belästigt hast, und Annegret hat dich stehen lassen, stimmt´s? Mann, Mann, Ronald, ich mag dich echt gerne, aber du treibst es auf die Spitze.“
„Nein, so war es nicht. Es ist … es ist komplizierter.“
Anna hörte nicht hin. Sie riss die Tür auf, ging zu ihrem kleinen Elektroauto, gab Strom und fuhr leise von Angermünde nach Altkünkendorf.
Das Gespräch ließ sie nicht los. Deshalb stellte Anna Antenne Brandenburg an.
„In Angermünde beschäftigt ein Toter die Krimi¬nalpolizei Prenzlau. Mutmaßlich hat er sich mit Insulin gedopt, um ein schnelleres Muskelwachstum zu erreichen. Wir verzeichnen das erste Todesopfer dieser Art in der Uckermark. Deutschlandweit werden jährlich bis zu zehn Todesopfer dem Insulindoping zugeordnet. Die Polizei sucht nach einem möglichen Dealer aus dem Sport- und Fitnessbereich, geht aber auch dem Verdacht nach, dass es sich um einen illegalen Internetkauf handeln könnte. Warum sich immer mehr Menschen mit Insulin dopen, darüber sprechen wir mit Frau Dr. Monika Anker.“
Anna stellte das Radio ab. Das Thema drückte ihre Stimmung eher, als dass es sie ablenkte. Wie verrückt muss man sein, sein Leben für ein paar Muskeln aufs Spiel zu setzen? Ron kann ohne Insulin nicht leben, und andere bringen sich damit um.
***
Annegret parkte ihr Auto in einer Nebenstraße und lief das letzte Stück zu Ronny. Sie schlich sich in den Garten und ging zur Terrassentür, die sie weit geöffnet vorfand. Annegret war erleichtert, dass Ronny es ihr so einfach machte, unangemeldet ins Haus zu gelangen. Sie vernahm Stimmen. Eine Frau sprach, und ein Mann antwortete leise. Sie konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde. Die Ter¬rassentür führte in die Küche. Annegret ging hinein. Von der Küche ging es in einen kleinen Flur. Links von ihr schien das Wohnzimmer zu sein, von wo die Stimmen kamen. Sie schlich näher.
„Leg dich hin, Ron. Du musst dich beruhigen. Warum machst du dir so viele Gedanken. Sie hat nichts gegen dich in der Hand. Soll sie zur Polizei gehen. Was kann passieren? Sie können dich ver¬hören, vielleicht dürfen sie sogar deine Wohnung durchsuchen. Sie werden nichts finden, und damit bist du aus dem Schneider. Das kann höchstens eine Routinemaßnahme sein, wenn sie überhaupt zu dir kommen. Du musst die Ruhe bewahren.“
„Ich muss mit ihr reden.“
„Nein, du musst zur Ruhe kommen, und vor allem musst du aufhören zu trinken. Hast du dir die halbe Whiskeyflasche in den Kopf geknallt?“
„Nein, nicht ganz. Aber ja, ich hab zu viel getrunken. Nachdem Anna gegangen ist, musste ich an damals denken. Alles kam hoch.“
„Dann hättest du mich früher anrufen und mit mir reden sollen. Ich bin nicht nur deine Nachbarin, ich bin deine Freundin.“ Annegret hörte, dass ein Schrank geöffnet wurde. Es folgte ein dumpfes Geräusch, und der Schrank wurde geschlossen. Annegret vermutete, dass Michaela die Whiskeyflasche weggestellt hatte. „Die Sache beschäftigt mich, Michaela. Ich habe Angst, dass sie rot sieht. Wie damals. Sie stößt mich von sich, obwohl ich ihr nichts getan habe. Ich kann verstehen, dass die Karteikarten sie fertiggemacht haben. Ich bin aber nicht dafür verantwortlich.“
Annegret stutzte. Meinte er das ernst? Wollte er deshalb mit ihr reden?
„Ich weiß, Ron. Ich weiß das. Es wird die Zeit kommen, wo du dich erklären kannst. Bitte, miss deinen Blutzuckerspiegel.“
„Er ist zu hoch, das weiß ich.“
„Woher, hast du gemessen?“
„Nein, ich habe Alkohol getrunken. Er wird zu hoch sein, und in ein bis zwei Stunden wird er zu niedrig sein. Ich darf jetzt nicht spritzen. Ich muss später was essen.“
„Willst du ins Bett gehen und ich wecke dich in einer Stunde?“
„Nein, ich stelle mir mein Handy, damit es mich im Stundentakt weckt, falls ich einschlafe. Ich muss meinen Blutzucker im Auge behalten. Ich bleibe auf der Couch und gucke fern.“
„Dann lege ich dir deinen Insulin-Pen auf den Couchtisch und stelle dir ein Glas Orangensaft dazu. Nur für den Notfall, okay?“
„Machst du mir auch den Fernseher an?“ sagte er, was Annegret als leicht provozierend empfand, als wolle er sehen, wie weit er gehen konnte.
Annegret hörte, wie Michaela aufstand und durchs Wohnzimmer ging. Dann erklang Musik und eine Stimme.
„Guck mal, eine Dokumentation über Riga. Da wollten wir doch auch mal hin. Diese Holzhäuser sind wunderschön.“
„Ja, da wollten wir auch mal hin. Ich hoffe nur, du schleppst den ollen Kauz nicht mit, weil du dich von ihm nicht trennen kannst.“
„Du bist auf Streit aus.“
Annegret war bewusst, dass Michaela jeden Mo¬ment in die Küche gehen würde. Sie schlich sich zurück zur Terrassentür, sprang die Stufen herunter und drückte sich an die Hauswand.
„Soll ich die Terrassentür schließen, Ron?“
„Nein!“
„Vergiss es aber später nicht, sonst kommen die Mücken rein.“
„Wir haben keine Mücken. Es ist viel zu trocken“, antwortete Ronny.
Der Kühlschrank wurde geöffnet und geschlossen. Nach einer Weile hörte sie das Geräusch wieder. Michaelas Stimme wurde beim Sprechen leiser, sie schien ins Wohnzimmer zurückzugehen.
Auf einmal wurde Ronny laut, so dass sie das Gespräch sogar draußen im Garten verfolgen konnte.
„Nun geh endlich zu deinem alten Herrn rüber. Dieses ewige Gepiepe deines Handys macht mich wahnsinnig. Sicherlich täuscht er gerade einen Herz-infarkt vor.“
Michaela antwortete etwas, was Annegret nicht verstand.
„Ich bin aber nicht dein Pflegefall, ich bin dein Freund und kann auf mich selbst aufpassen. Kümmere dich um den Alten, und ich kümmere mich um mich.“
Zwei Türen wurden geworfen.
Annegret schlich sich ins Haus zurück bis in die Küche. Das leicht knarrende Geräusch war kurz wieder da. Ronny schien sich den Whiskey aus dem Schrank zu holen.
Jetzt säuft der Idiot weiter, dachte Annegret. Gut für mich, damit macht er es mir leichter. Alles schien perfekt, um Ronny ein für alle Mal aus ihrem Leben zu befördern. Wenn er jetzt weitertrinkt und einschläft, kann ich ihm die tödliche Spritze setzen, und keiner wird es merken. Annegret rutschte an der Wand herunter, gegen die sie sich gelehnt hatte, und dachte weiter darüber nach, wie sie es tun sollte. Sie trug Handschuhe und Mütze. Das hatte sie im Fernsehen gesehen, um keine Haare zu verlieren oder irgendwelche Fingerabdrücke zu hinterlassen. Ihr Kopf juckte, weil sie in der Eile nur Wollmütze und -handschuhe finden konnte. Es waren sechsund-zwanzig Grad draußen und sie war nervös. Die Hitze unter der Mütze staute sich und ihre Hände waren schweißnass.
Sie lauschte. Nach einer Weile vermischten sich die Gespräche aus dem Fernseher mit Ronnys Schnar¬chen. Es klang ruhig und gleichmäßig. Ronny schlief tief und fest. Annegret holte Spritze und Kanüle aus ihren Verpackungen, steckte sie zusammen und nahm die Kappe der Spritze ab. Den Müll steckte sie zurück in ihre Tasche, dann zog sie das Insulin auf. Sie zitterte, und es dauerte eine Weile, bis sie die Spritze aufgezogen hatte. Die Handschuhe machten es ihr schwer, und fast wäre ihr alles aus der Hand geglitten. Sie zögerte. Noch konnte sie gehen, und niemand würde bemerken, dass sie hier gewesen war. Sie dachte an Thomas und daran, dass er noch leben würde, wenn Ronny nicht wieder in Angermünde aufgetaucht wäre. Ihr fielen Ronnys Worte ein: Ich kann verstehen, dass die Karteikarten sie fertiggemacht haben. Ich bin aber nicht dafür verantwortlich. Stimmte das? Hatte sie sich getäuscht? Wollte Ronny deshalb mit ihr reden? Sie schüttelte den Gedanken ab. Das ist Blödsinn, er muss Michaela gegenüber behaupten, dass er es nicht war. Sie würde ihn sonst verlassen.
„Genug nachgedacht, Annegret, beende es“, sprach sie leise zu sich selbst.
Sie stand auf und ging mit wackeligen Beinen in den Flur. Sie atmete tief durch, versuchte sich auf ihre Wut zu fokussieren. Da klingelte es an der Haustür, und Annegret entwich ein heiserer Schrei. Starr vor Angst blieb sie stehen. Erneut klingelte es. Ronny drehte sich auf der Couch um und brummte. Lauf weg, befahl sie sich, doch ihre Beine bewegten sich nicht. Nach einigen Minuten, die ihr wie eine Ewig¬keit vorkamen, löste sich die Anspannung. Ronny schnarchte rhythmisch, und an der Tür schien auch keiner mehr zu sein. Sie schlich ins Wohnzimmer und näherte sich der Couch, in der einen Hand die Spritze, in der anderen das fast leere Insulinfläschchen. Als sie vor dem schlafenden Ronny stand, pumpte ihr Herz wie wild. Sie beugte sich vor. Ronny lag auf der Seite. Im Fernsehen lief ein Krimi. Annegret hörte zwei Schüsse und erschrak. Ihr Herz klopfte bis zum Hals.
Sie hatte ihm die Spritze in den Bauch setzen wollen, weil sie wusste, dass dort ein weiterer Einstich nicht auffallen würde. An den Bauch kam sie jedoch nicht heran, sie musste die Spritze am Arm ansetzen. Das Tattoo, dachte Annegret. Dort würde man den Einstich am ehesten übersehen. Sie schaute Ronny von der Seite an. Er sah friedlich aus. Seine Gesichtszüge wirkten weich und zart. Auf einmal erkannte sie den kleinen Jungen in ihm, mit dem sie so gerne gespielt hatte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Ronny, wie er mit einer Lupe bewaffnet durch den Garten robbte und Insekten beobachtete. Dann sah sie ihn im Parsteiner See, wie er ihr zuwinkte und sie ermutigte, weiter hinauszu¬schwimmen.
Annegret schüttelte die Gedanken ab. Er ist nicht mehr der kleine, unschuldige Junge von damals. Er ist ein Psychopath der dir das Leben zur Hölle machen will. Dann sah sie ihn als Jugendlichen, wie er vor ihr stand und ihr seine Liebe gestand. Ganz verlegen schaute er dabei auf den Fußboden. Seine Gefühle waren ihm sichtlich peinlich gewesen. Er wirkte verletzlich. Fast zärtlich erinnerte sich Annegret daran, wie es ihr leid getan hatte, ihm sagen zu müssen, dass sie seine Gefühle nicht erwiderte.
Langsam richtete sie sich auf. Fühlte sie sich nicht genauso verlassen und hilflos, wie er sich gefühlt haben musste, als er diese widerlichen Nachrichten schrieb? Was war bloß in ihm vorgegangen? Annegret hatte das Bedürfnis Ronny zu wecken und einen Strich unter die Geschichte zu setzen, als der Alarm in Form einer Gitarrenmusik von seinem Smartphone ausgelöst wurde. Annegret erschrak und verlor die Insulin¬ampulle. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie kaum Kontrolle über sie hatte. Das Telefon fand sie auf der leichten Baumwolldecke, die zerknüllt zu Ronnys Füßen lag. Die Ampulle war weggerollt, sie konnte sie so schnell nicht ausfindig machen. Annegret griff sich das Handy, lief in die Küche und wischte auf dem Display herum, um den Alarm auszustellen. Mit den Handschuhen bewirkte sie jedoch nichts. Auf der linken Seite fand sie den Knopf, um das Handy leise zu stellen. Die Melodie verstummte, dennoch war ein leichtes Vibrieren zu spüren und zu hören. Mittlerweile war es dunkel im Haus. Ronny bewegte sich unruhig. Draußen zwitscherten die Vögel in der Sommer-dämmerung. Sie legte die Spritze auf den Kühlschrank und zog einen Handschuh aus, um das Display bedienen zu können. Da sie Angst hatte, der Alarm könnte sich wiederholen, schaltete sie alle ausge¬wählten Zeiten für diesen Tag aus. Dann zog sie den Handschuh wieder an und rieb das Handy ab. Sie lauschte, ob Ronny aufgewacht war. Es regte sich kurz etwas im Wohnzimmer, Ronny strampelte mit den Beinen, dann hörte sie sein betrunkenes Schnarchen. Gerade wollte sie zurück ins Wohn¬zimmer gehen, als jemand die Haustür aufschloss.
Die gebürtige Bremerin lebt seit 2015 als freie Redakteurin, Schriftstellerin und Künstlerin in Brandenburg.
Im Januar 2019 beendete sie ihren Krimi „Tödliches Insulin“, der für den 1. Regionalkrimi-Wettbewerb der Uckermark nominiert worden ist und von der Jury als zweitbester Beitrag beurteilt wurde.
Im Mai 2019 brachte sie ihr Kinderbuch „Die kleine Nachteule Miela vom Feld“ heraus.
2019 war sie pro agro-Botschafterin im Bereich Kunst und Kultur.
Mit einigen Kooperationspartner*innen organisierte die Autorin die „Woche der Sprache und des Lesens 2019“ in Angermünde. Für 2020 erhielt sie zwei Stipendien vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, um das Konzept in der Corona-Zeit online durchführen zu können und ein Kinderbuch für die Angermünder Grundschulen herauszubringen. Die Schriftstellerin arbeitet an einigen Kinderprojekten mit und engagiert sich in diesem Bereich gerne für die Stärkung des Selbstbewusstseins bei heranwachsende Frauen.
Im September 2018 gewann sie den Ehm Welk-Literaturpreis.
Im selben Monat hatte die Angermünder Stadtführung „Mägde, Macht & Glaubensstreit“ Premiere, für die Kena Hüsers die Handlung der historischen Szenen schrieb. Die Stadtführung wird jährlich bis zu sechsmal aufgeführt.
Im Mai 2018 erschien ihr zweiter Roman „Postfaktisch bin ich ne Niete“. Drei Jahre zuvor hatte sie bereits ihren Debüt-Roman „Mondrausch“ veröffentlicht.
2016 hatte ihr plattdeutsches Theaterstück „Lecker Norddüütsch“ Premiere im Kreativhaus Berlin.
Im Zuge des Volksbegehrens zum Tempelhofer Feld in Berlin erfand sie kleine Geschichten um die Nachteule Miela herum, die ihren Lebensraum auf dem Feld verlieren sollte. Zu diesem Zeitpunkt lebte Kena Hüsers noch in Berlin-Neukölln.
Von 2013 bis zu ihrem Umzug 2015 nach Angermünde gehörte sie zum festen Team der Neuköllner Kiezzeitung „Kiez und Kneipe“.
Zwei ihrer Kurzgeschichten erschienen 2019/2014 in der Zeitschrift für plattdeutsche Sprache und Literatur „Quickborn“.
Ausbildungen: Duales Studium Kommunikations-Design 1992-1995 und Zusatzausbildung zur DTP-Grafikerin 1996, Berufsakademie für Heilpraktiker*innen 2000-2005, Studium Journalismus 2010-2012.
Bibliographie
Mondrausch – Roman 2015 Franzius-Verlag dann CreateSpace Independent Publishing Platform; Auflage: 2 (9. September 2016)
Postfaktisch bin ich ne Niete – Roman – BoD 2018
Tödliches Insulin – Brandenburg Krimi – BoD 2019
Die kleine Nachteule Miela vom Feld – Kinderbuch – BoD 2019
Melli Abenteuer – Bosse und der starke Opa – BoD voraussichtlich September 2021