Jahrgang 1954, Studium der Landwirtschaft (Diplomagraringenieur) an der Humboldt-Universität Berlin, Studium am Literaturinstitut Leipzig
Nachwuchs-Preis der Akademie der Künste 1990, Kurzhörspielpreis von DS Kultur 1991, Literaturförderpreis des Landes Brandenburg 1992, Literaturpreis Umwelt des Landes Nordrhein-Westfalen 1992, Ehm-Welk-Literaturpreis 1994
Kunstförderpreis des Landes Brandenburg 2015
Mitglied im PEN international Zentrum Deutschland und VS

Bibliographie

Veröffentlichungen

Die Totenkeule, Roman 1989 (dazu Drehbuch von Ulrich Plenzdorf);
Wintervorrat, Hörspiel 1991; DR Kultur
Das kalte Herz, Hörspiel 1992; DR Kultur
Und führe uns nicht in Versuchung, Film (Fernsehen) 1992;
Galgenfrist, 1993(dazu Drehbuch von Ulrich Plenzdorf);
Landleben, Kurzerz.
1994; Hierzulande, 4 Folgen (Fernsehen);
Reif fürs Museum?, Feature 1996;
100 Jahre Oskar Schmidt, Feature 1997;
Was hätten wir anders machen sollen?, Feature 1998;
Arkadien mit Hollywoodschaukel, Essay 1999;
Annaburg, Feature (5 Folgen), 2000
2000; Bruder Heinrich, Feature 2000;
Ein Leben zum ironischem Tod, 2001 Hörbild;
Lena und Paul (Fernsehen), 2001 10 Folgen,
Überlebtes, Essay 2002
Die Hühnerprinzessin, Feature 2003
Tödliches Wasser, Roman 2003, Kiepenheuer
Günter Gaus- Ein Ständiger Vertreter verändert Deutschland, Feature 2004
Wie erhält man Paradiese – Der Gartendenkmalpfleger Dieter Hennebo, Feature 2005;
Abschied vom Rheuma, Hörstück 2005;
Hochzeitsbild aus Wien, Hörstück 2005;
Der Umbetter, Hörstück 2005;
Pillnitzer Riesen, Hörstück 2005;
Kein letzter Tag, Hörstück 2005;
Dort senke dich auf ein Paradies- Die Gartenlandschaften des Fürsten Pückler; 2006, Kiepenheuer
Abschied, Hörspiel 2007;
Der Geist der freien Genossenschaft- Das Leben des Hermann Schulze-Delitzsch, Feature 2008
Facetten Pücklers, Textkollage, 2010 Deutschlandradio Kultur
Das weiße Gold, Feature, MDR 2010
Die Gartenlandschaften des Fürsten Pückler, Lesung, MDR 2010
Das Gold der Lausitz, Feature, MDR 2011
Das Gartenreich Wörlitz – Modell einer idealen Welt, Feature, MDR 2011
Leben auf dem Land, Essays, Katalog und CD, 2011
Kein letzter Tag, Stück, Uraufführung Staatstheater Cottbus 2011,
Der Abgesang der Wale, Feature, MDR 2012
Jedes Sorbenherz ein Fels-Die Geschichte der Domowina, Feature, MDR 2012
Dresdens Mäzen und Bankrotteur – Graf Brühl, Feature MDR 2013
Grundwasser- die schleichende Flut, Feature MDR 2014
Am Ende der Zeit Text im Bildband mit Fotografien von Thomas Kläber, 2015, dkw
Hörstück „Letzte Schicht“ open air, Tagebau Cottbus Nord, 2015
Der leise Frieden mit dem Krieg, Feature MDR, 2016
Polizeieinsatz im Grenzgebiet, Feature MDR, 2017
Erfolgsmodell Nikolaistuhl, Feature MDR, 2018
„Kinder des Krieges“ Feature-Beitrag ARD, 2020
„Die Dörnthaler Leinöl-Müllerin“, Feature MDR, 2020
Zukunft Gartenstadt, Feature MDR,2021

Herausgeber

„Zwischen Kiefern und Kasernen“, Anthologie vbb, 2019
Texte in verschiedenen Anthologien
Zuletzt:
„Lausitz“, Wieser Verlag Wien; „Kinder, die wir waren“, Verlag Berlin Brandenburg; „Grenzfälle“, Verlag Berlin Brandenburg, „Zwischen Kiefern und Kasernen“, vbb
„Hier ist herrlich arbeiten“,vbb

Matthias Körner liest aus Dort senke dich auf ein Paradies – Die Gartenlandschaften des Fürsten Pückler, Lausitz und „Leben auf dem Land“, erschienen in Kiepenheuer Verlag, Wieser Verlag Wien und Katalog Anstoß.

Textprobe

Pückler-Buch: Gärten als Paradies-Bibliotheken

Wer in einen Park geht, will die Wirklichkeit verlassen und den Himmel auf Erden erleben. Seit jeher sind Gärten der Versuch, aus der Welt zu fliehen zurück ins Paradies, den Garten Eden. Ein Ort, von dem man wenig weiß und alles erhofft…Immer sind Gärten auch die ins „Grüne“ gezeichneten Weltbilder ihrer Entstehungszeit. Dieser Zeitbezug ist zugleich ihre Existenzgefährdung bei gesellschaftlichen Umbrüchen. Denn mit dem Fortschreiten der Geschichte geht ebenfalls ein ständiger Wettlauf um die Ideale und damit um die versprochenen Paradiese einher. Und so ändern sich auch ihre Park-Abbilder mit den Zeiten. Oft ertrugen die nachfolgenden Generationen die Paradiese ihrer Vorgänger nicht mehr. Erst mit dem Aufkommen der modernen Gartendenkmalpflege gibt es ein institutionelles Bemühen um den Erhalt von Gärten als „Paradies-Bibliotheken“.
In Abwandlung eines auf die Wälder gemünzten Spruchs von Franz Kafka könnte man sagen: In den Parks sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang im Gras liegen könnte…
Am 30. Oktober 1785 hielt das 15-jährige Mädchen Clementine Reichsgräfin von Pückler, ihren Erstgeborenen und damit den Erben der Standesherrschaft in den Armen. Hermann war zwar ein Sonntagskind, doch er mußte sich fortan ohne elterliche Liebe und Geborgenheit die Welt erobern. Die Mutter, selbst noch Kind, sah in ihm höchstens ein Spielzeug und der Vater betrachtete sein Kind eher als notwendiges Übel.
Pückler rebellierte mit Ungehorsam dagegen an. Was wiederum Bestrafungen nach sich zog, ein Kreislauf der Entfremdung. Bei einer Strafaktion sperrte der Hofmeister Pückler im oberen Turmzimmer des Schlosses ein. Hermann drohte, sich aus dem Fenster zu stürzen, doch der Hofmeister blieb unerbittlich. Bald darauf hörte man einen Todesschrei und einen Aufprall im Wasser. Die herbeigeeilten Diener fischten Hermanns Kleider aus dem Wasser und — eine Strohpuppe. Das war das erste Mal, daß Pückler mit seinem Tod gespielt hatte.
Mit sieben hatte man den Widerspenstigen nach Uhyst zur Herrnhuter Brüdergemeinde gegeben, die Pückler als„herrenhutische Heuchelanstalt“ bezeichnete. Eine Leidenschaft allerdings soll dort in ihm erwacht sein: die zum Gärtnern. Ludmilla Assing ist sich da ganz sicher:
„Das kleine Gärtchen der Anstalt, wo jeder Knabe sein Beet erhielt, war für ihn eine Quelle unablässigen Nachsinnens und Vergnügens.“
Einmal verletzte er vor lauter Sinnerei einen Mitschüler mit der Hacke am Kopf, „daß das Blut des Verwundeten auf die Blumen strömte, was Pückler die Gärtnerei für lange verleidete“.
Jener Mitschüler, ein junger Graf, erschoß sich später aus unglücklicher Liebe und „Pückler wollte in jener blutigen Gartenszene eine Vorbedeutung dieses traurigen Schicksals erkennen.“
Eine frühe gartenkünstlerische Prägung also, die beinahe im Blut des Mitschülers untergegangen wäre. Glücklicherweise blieb Pückler seiner „Richtung“ treu.
Und Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) konnte bei einem Besuch Pücklers in Weimar getrost die legendären altväterlichen Worte sprechen: „Verfolgen Sie diese Richtung, Sie scheinen Talent dafür zu haben; die Natur ist das Dankbarste, wenn auch unergründlichste Studium, denn sie macht den Menschen glücklich, der es sein will.“…Später fügte Pückler seinem Uhyster Lebensabschnitt eine weitere hier erwachte Leidenschaft hinzu: Die Liebe!
Mit sieben Jahren, so behauptete Pückler, sei er unsterblich in seine Cousine Nathalie von Kielmannsegge verliebt gewesen. 1830, mit 45 Jahren, gestand er seiner Cousine, wie er sich an ihr schwarzseidenes Gewand gedrängt und „elektrisch getroffen“ zum erstenmal gefühlt habe, „was Wollust sei“. „Alles ist mir noch heute so gegenwärtig, als wäre es gestern geschehen, und ich bewundere manchmal, wie ich schon als Kind alt war und als Alter noch Kind geblieben war.“
…Pücklers Ziele bei der Brautschau waren weniger poetisch. Er suchte eine reiche Frau. Eine Jagd, zu der er sein Leben lang verdammt war.
Damit begann eine der ungewöhnlichsten Paar-Beziehungen des 19. Jahrhunderts.
Die Assing beschreibt Pücklers Braut so:
„Die Gräfin Lucie war in ihrer Jugend eine schöne Frau gewesen, eine helle Blondine, mit ausdrucksvollen Augen, schön gewölbten Augenbrauen ….“
Das war lange vor Pückler. Sie ist neun Jahre älter und schon eine „Matrone“, eine anspruchsvolle, sie ist schließlich die Tochter des preußischen Staatskanzlers von Hardenberg, eine Frau mit Beziehungen.
Pückler schafft Klarheit:
“… Empfindlichkeit…mußt Du auch besiegen, sonst untergräbst Du am Ende dadurch unser kindliches, aufrichtiges und harmloses Zusammenleben…
Es ist wahr, hättest Du auch neben all Deinen übrigen Vorzügen die Jugend und Schönheit in dem Grade, wie Du sie einst besaßest, so würde ich Dich vielleicht in jeder Hinsicht mit Leidenschaft lieben, vielleicht auch nicht, vielleicht nur einseitig. Wer kennt des Menschen Herz!“

Lausitz-Geschichten: Hanka

Hanka war keine gewöhnliche Tante. Sie war älter noch als meine Großmutter und das Verwandtschaftsverhältnis blieb für mich ungeklärt. Vor allem aber war sie geheimnisumwoben.

An einem Heiligabend sah ich sie um ihr Haus laufen. Dreimal, dabei klapperte sie mit einer Kuhkette… Hanka glaubte an drei Dinge: Dass der Wendenkönig noch lebt, an den Herrgott, und an die wendische Göttin Schiwa. Die wohnte auf dem Frageberg bei Bautzen…Hanka wohnte hinter dem Wald in einem anderen Dorf. Ich fuhr als Kind mit dem Fahrrad dorthin. Fünf Kilometer durch Sand und Heide und über Wurzeln, daß die Schutzbleche klapperten. Zurückzu fuhr ich extra über die Wurzeln, damit es richtig Krach gab, denn hinter jedem Baum konnte eine von Hankas Geschichten-Gestalten stehen.

Die Geschichten, die mir Hanka erzählte, schien sie aus den Fingernägeln zu knispeln. Sonst, bekam ich vom Fingernagelknacken Gänsehaut, bei Hanka bekam ich die Gänsehaut oft von ihren Geschichten…

Aus Landleben: Mein Dorf

In meinem Dorf geht das Gespenst der Unvergänglichkeit um. Und ausgerechnet in der Kirche kann man ihm begegnen. Das Dorf ist eingebettet in Wiesen und Wälder. Kaum ist man rein gefahren, da ist man auch schon wieder draußen. Geduckt hält die Fachwerkkirche mit trotzigem Bretterturm die Wetterfahne gegen die Eichen ringsum und das Versinken in der Landschaft hoch. Wie konnte sich dieser Stützpunkt Gottes zu den paar Häusern verirren?
Drinnen, auf dem mit den Highlights des Neuen Testaments bemalten Holzaltar, pausbackt ein Engel wirkungslos gegen das Gespenst an. Das Auge Gottes darüber ist mit Papier zugedeckt, das den Staub der diesseitigen Welt einfängt und die Sicht trübt. Die ins Auge gestochenen Reißzwecken bezähmen den welligen Papierrand nur mühsam. Und obwohl das Auge Gottes so groß geworden ist, daß seine Strahlen oben abgesägt werden mußten, um es für das Kirchlein passend zu machen, unternimmt Gott nichts gegen den bösen Geist.
Während Jesus auf dem Altarbild seinem Grab entschwebt, harrt ihm gegenüber der Stifter der Kirche in seinem Sarg körperlich noch gut beisammen aus. Mit beiseite geschobenem Deckel ersehnt er, seinem Grab zu entkommen. Mehr als 250 Jahre lang starrt er mit aufgerissenen hohlen Augen schon dieser Hoffnung und dem Auge Gottes entgegen…
Land-Energie:Eigentlich hat Ramona T. es bald geschafft bis zur Rente. Aber an die denkt sie nicht. Sie hat eine Praxis für Harmonie und Natur, außerdem betreibt sie Fußpflege und einen kleinen Dessous-Handel. Aus ihren Geschäftsräumen hat sie die gemeine Landluft verbannt. Hier riecht es nach heilender Natur, so wie man sich die Heilkraft der Natur vorstellt: unaufgeregt, sanft und harmonisch. Kein Aromapartikel sticht in die Nase, nichts reizt die Schleimhäute. Der Geruch hüllt ein, man wünscht ihn sich ewig, um zu neuen Kräften zu kommen und zum eigenen Ich vorzustoßen. Ist die Zeit bei Ramona T. abgelaufen, entfernt sich das Ich wieder ins Unerreichbare und der an Körper und Sachen haftende Geruch schürt die Sehnsucht, sich erneut auf den Weg zu machen.
Selbst aus dem Bestellkärtchen strömt noch dieser verführerische Duft, wie von einem Parfümproben-Papierstreifen. Ähnlich einem zerissenen Spinnen-Gespinst schweben die Aromafäden in der Wohnung. Ich suche nach einem neuerlichen Grund für einen Besuch bei Ramona T. Für sie ist das gut. Sie lebt von solchen Besuchen…